Die geplante EU-Messenger-Überwachung – mehr Strafrecht und weniger Privatsphäre?
- Philipp Hillingmeier
- 10. Okt. 2024
- 3 Min. Lesezeit

In der Europäischen Union bahnt sich eine kontroverse Diskussion an: Die geplante EU-Messenger-Überwachung, die auf die Überwachung von Messenger-Diensten wie WhatsApp, Signal und Co. zielt soll der Strafverfolgung im Sexualstrafrecht - z.B. beim Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Kindern - mehr Möglichkeiten bieten. Es spaltet aber die Meinungen - bei weitem nicht nur Anwälte für Strafrecht und Strafverteidiger sind kritisch. Besonders in Deutschland wird der Vorschlag mit Sorge betrachtet. Datenschützer, Bürgerrechtsorganisationen und viele Politiker sehen darin eine massive Gefahr für die Privatsphäre und die digitale Sicherheit. Doch was steckt hinter dieser Debatte?
Worum geht es bei der Chatkontrolle?
Die Europäische Kommission hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der Messenger-Dienste verpflichten würde, den Austausch von kinderpornographischen Inhalten (inkriminierte Dateien, § 184b StGB) zu überwachen und zu melden. Das Ziel: den sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet effektiver bekämpfen. Dabei sollen nicht nur offene Plattformen wie soziale Netzwerke, sondern auch verschlüsselte Kommunikationsdienste in die Pflicht genommen werden. Ein zentraler Aspekt der Diskussion ist der Einsatz von Client-Side-Scanning. Das bedeutet, dass Nachrichten direkt auf den Geräten der Nutzer gescannt werden, bevor sie verschlüsselt und versendet werden. So könnten Messenger-Dienste auch verschlüsselte Nachrichten auf verdächtige Inhalte überprüfen – eine drastische Maßnahme, die tief in die Privatsphäre der Nutzer eingreift.
Kritik an der Chatkontrolle in Deutschland
In Deutschland hat der Vorschlag zu erheblichem Widerstand geführt. Besonders Datenschutzexperten, Bürgerrechtsorganisationen und einige Politiker warnen eindringlich vor den möglichen Folgen.
Eingriff in die Privatsphäre
Der wohl größte Kritikpunkt ist der Eingriff in die vertrauliche Kommunikation. Dienste wie WhatsApp und Signal bieten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die sicherstellt, dass nur Absender und Empfänger die Nachrichten lesen können. Die Chatkontrolle könnte dieses Prinzip aufweichen. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist nicht nur ein Werkzeug für Menschen, die ihre Privatsphäre schützen wollen, sondern auch für Journalisten, Whistleblower, Menschenrechtsaktivisten und andere, die sich in kritischen Situationen auf sichere Kommunikation verlassen müssen.
Sicherheit der digitalen Infrastruktur in Gefahr
Viele Experten warnen zudem vor den technologischen Risiken einer solchen Überwachung. Wenn einmal „Hintertüren“ in die verschlüsselte Kommunikation eingebaut werden, könnten diese nicht nur von den Behörden genutzt werden. Auch Kriminelle, Hacker oder autoritäre Regierungen könnten solche Schwachstellen ausnutzen, um auf private Daten zuzugreifen. Auch Signal und andere verschlüsselte Dienste haben sich entschieden gegen den Vorschlag positioniert. Meredith Whittaker, Präsidentin von Signal, drohte sogar damit, den Dienst in der EU zu schließen, falls die Chatkontrolle tatsächlich umgesetzt würde. Der Grund: Die Schwächung der Verschlüsselung würde das Vertrauen der Nutzer und die Sicherheit der Kommunikation massiv gefährden.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Auch rechtlich ist die Chatkontrolle umstritten. In Deutschland wird der Vorschlag als potenziell verfassungswidrig betrachtet. Das Grundrecht auf Privatsphäre und Fernmeldegeheimnis ist im Grundgesetz fest verankert. Die massenhafte Überwachung privater Kommunikation könnte dieses Recht verletzen. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte sowie viele Juristen äußern Bedenken.
Auch in der Politik stößt der Vorschlag auf Skepsis. Besonders das Bundesjustizministerium unter Marco Buschmann (FDP) hat sich gegen die Chatkontrolle ausgesprochen. Buschmann betonte, dass der Schutz der Privatsphäre und die Integrität der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht zugunsten einer flächendeckenden Überwachung aufgegeben werden dürften. Auch andere Parteien wie die Grünen und die Linke lehnen den Vorschlag in seiner jetzigen Form ab. Sie fordern eine gezieltere Bekämpfung von sexuellem Missbrauch von Kindern, die nicht die Grundrechte aller Bürger einschränkt.
Fazit: EU-Messenger-Überwachung stellt einen erheblichen Eingriff in die digitale Privatsphäre dar
Die geplante Chatkontrolle hat das Potenzial, einen tiefen Einschnitt in die digitale Freiheit und Sicherheit in Europa zu verursachen. Der Ausgang der Debatte ist derzeit noch offen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Verhandlungen innerhalb der EU weiterentwickeln. In jedem Fall bleibt es wichtig, dass die Grundrechte der Bürger bei jeder Maßnahme im digitalen Raum gewahrt bleiben. Wir als Anwälte für Strafrecht mahnen zur Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriff. Anlassloser Überwachung hatte das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit eine Absage erteilt. Dies wäre bei dem Vorhaben in seiner jetzigen Form auch zu erwarten.
Comments